Forschungswerkstatt
6. Dezember 2022

3. Forschungswerkstatt „Sicherer und souveräner Umgang mit sensiblen Daten im Feld Gesundheit“

#Forschungswerkstatt #Gesundheitsdaten #Nutzer*innenbeteiligung #partizipation

Am 22.11.2022 fand die dritte Forschungswerkstatt unter dem Titel „Sicherer und souveräner Umgang mit sensiblen Daten im Feld Gesundheit“ statt. 

Prof.‘in Dr. Claudia Müller, Konsortialleitung von CoCre-HIT, konnte eine Vielzahl an Teilnehmenden aus den Verbundprojekten der Förderline „Hybride Interaktionssysteme zur Aufrechterhaltung der Gesundheit auch in Ausnahmesituationen“ begrüßen.

Als Referent aus dem Feld Human Computer Interaction und User Experience konnte Prof. Dr. Tilo Mentler von der Hochschule Trier gewonnen werden. Prof. Mentler ist Professor im Fachbereich Informatik und u.a. Sprecher der Fachgruppe „Usable Safety & Security“ in den Fachbereichen Mensch-Computer-Interaktion (MCI) und Sicherheit der Gesellschaft für Informatik (GI). 

Das Programm startete mit einem Input von Prof. Mentler unter dem Titel „Partizipation und was danach?“. Unter der Frage „Wie kann eine Nutzerbeteiligung, insbesondere bei Gruppen, bei denen von Ressourcenbegrenzungen ausgegangen werden muss, gelingen?“ wurde erörtert, warum es wichtig ist, den Nutzer und Nutzerinnen, den persönlichen Mehrwert der Partizipation aufzuzeigen. 

Er unterstrich dabei auch, dass mit der Darlegung des persönlichen Benefits durch Teilnahme am Forschungsprojekt keine falschen Erwartungen für die potenziellen Teilnehmenden geweckt werden dürfen, weil Vertrauensaufbau elementar für eine gelingende Nutzer*inneneinbindung in Forschungsvorhaben sei. 

Wie wichtig für die erfolgreiche Nutzer*innenbeteiligung die Wahl der richtigen Zeit und des richtigen Orts ist, wurde mit einem einprägsamen Beispiel illustriert: Prof. Mentler berichtete z.B. über eine Befragung im Feld der Notfallmedizin, die er dort zum Schichtende in den frühen Morgenstunden durchgeführt hat. Das heißt, es kann für die Nutzereinbindung hilfreich sein, wenn Forschende auch für ihren Arbeitskontext unüblichen Zeiten die Zielgruppe aufsuchen, um glaubhaftes Forschungsinteresse sowie Wertschätzung zu zeigen und die Nutzer*innen in ihrer Arbeits- bzw. Lebenswelt aufsuchen.

Ein weiterer Aspekt, der für eine erfolgreiche Nutzer*innenbeteiligung wichtig ist, ist die Wahl der passenden Methodik um nicht mit viel Aufwand die begrenzte (zeitliche) Ressource der potenziellen Anwender*innen in Anspruch zu nehmen. Fragen die man sich als Forschende*r stellen soll, sind:

- Welche Form der Erhebungen ist wirklich notwendig? 

- Welche Fragen bzw. Antworten können auch aus der Theorie und bereits vorhandenen empirischen Ergebnissen genutzt werden? 

- Ist eine Beteiligung zu jeder Phase notwendig?

Vieles scheitere nicht an der Methodik selbst, sondern an der Art der Durchführung: Es sei auch manchmal nötig, die eigene Komfortzone zu verlassen, Verantwortung zu tragen, auch wenn es mal zum eigenen Nachteil sein sollte. Nur so könne Ernsthaftigkeit und Interesse am Forschungsvorhaben glaubhaft transportiert werden.

Nach dem engagierten Plädoyer für Partizipation von potentiellen Anwender*innen bei Technikentwicklung sprach Prof. Mentler über die Herausforderungen im Bereich Datenschutz beim Umgang mit den Nutzer*innendaten. Unter anderem referierte er über die Bedingungen, unter denen gesammelte Daten für Machine Learning genutzt werden können und verwies hier auf entsprechende Literatur (Bspw. Landrock/Gadatsch (2018). Big Data im Gesundheitswesen kompakt: Konzepte, Lösungen, Visionen. Springer Vieweg: Wiesbaden) und den Erwägungsgrund 33 DS-GVO „Einwilligung zur wissenschaftlichen Forschung“. Diskutiert wurde bspw. über die Schwierigkeit, gute Alternativen zu finden für Software-Anbieter und Cloud-Dienste die ihre Server in den USA haben, ebenso wie über die oftmals sehr begrenzten Kapazitäten im Hinblick auf die Infrastrukturen vor Ort an den Hochschulen. Hier wäre es nötig, für jedes Forschungsprojekt auch technisches Personal zu beantragen. 

Eine weitere Empfehlung war, sich an den Positionen und Empfehlungen des Wissenschaftsrats (2022) „Digitalisierung und Datennutzung für Gesundheitsforschung und Versorgung“ (https://doi.org/10.57674/bxkz-8407) zu orientieren. 

Für Best Practices wurde auf auch die Handreichung „Datenschutz“ des RatSWD verwiesen (Rat für Sozial- und WirtschaftsDaten (RatSWD) (Hg.) (2020): Handreichung Datenschutz. 2. vollständig überarbeitete Auflage. Rat für Sozial- und WirtschaftsDaten (RatSWD). Berlin (RatSWD Output, 8 (6)). 

Nach dem Vortrag von Prof. Mentler berichteten die drei Projekte MITMed, HybridVITA und KardioInterakt von den Herausforderungen und ihrem Vorgehen bei den Themen Nutzerorientierung und Datenschutz. Deutlich wurde hier, dass diese Themen immer einen hohen Aufwand mit sich bringen. 

Fragen der M1 Projektpartner*innen und Antworten von Tilo Mentler

Spannend war auch die anschließende Diskussion. Aufgegriffen wurden nochmal einzelne Aspekte, wie Datenschutz vs. Datensicherheit, US-Anbieter und Aufwände der Bearbeitung dieser Themen. So wurde diskutiert, dass im Rahmen des Datenschutzes aufgrund des EU-Rechts keine Technologien von US-Anbietern genutzt werden können, jedoch die europäischen Alternativen unzufriedenstellend sind. Somit muss es ein Nachfolgeabkommen geben und eine europäische Lösung. Dies hilft zwar aktuell nicht bei einem dreijährigen Forschungsprojekt, sollte aber für die Zukunft das Ziel sein. Demzufolge ist es aktuell noch notwendig, Daten entweder über eigene Server laufen zu lassen oder auch Kooperationen mit deutschen Unternehmen, was wiederum zu deutlich erhöhten Aufwänden führt. Um die Relevanz der Thematik prägnant darzustellen und die Notwendigkeit dessen für alle Projekte auszuweisen, wird gemeinsam mit Prof. Dr. Tilo Mentler ein Whitepaper verfasst.

Im Anschluss hat Prof. Mentler eine Methode vorgestellt, mit der herausgefunden werden kann, wie Expert*innen/Nutzer*innen kritische Entscheidungen treffen. Die „Critical Decision Method“ arbeitet mit fiktiven Zwischenfällen und einer Interviewtechnik, die sehr strukturiert ist und hilft durch Abstraktion, Ausnahmesituationen besser zu verstehen. 

Mit der retrospektiven Methode können Fälle rekonstruiert werden und kritische Momente bzw. Ausnahmesituationen definiert werden. Diese können dann über einen Zeitstrahl dargestellt werden: Wo passieren überall Zwischenfälle? So lassen sich einzelne Phasen und Entscheidungspunkte identifizieren. Ergebnisse können bspw. über Flowcharts dargestellt werden, in denen nicht nur der Standardfall aufgezeigt wird, sondern vor allem auch Ausnahmefälle. Gerade diese Identifizierung und Darstellung von Ausnahmefällen liefere gute Hinweise, u.a. auch für die Grenzen des Systems. 

Abschließend diskutierten die Teilnehmenden der Forschungswerkstatt in kleinen Gruppen über die Methode, die Anwendungsmöglichkeiten in ihrem Projekt sowie über die Vorteile und Grenzen der Methode.